Zur Entwicklung und zum historischen Hintergrund
der Vereinigung Mitteldeutscher Hals-Nasen-Ohrenärzte
Die seit nunmehr 25 Jahren bestehende Vereinigung Mitteldeutscher Hals-Nasen-Ohrenärzte ist die jüngste HNO-Gemeinde in Deutschland. Während einige Regionalvereinigungen in Deutschland mittlerweile nahezu 100 Jahre alt sind, hat es einen kontinuierlichen Zusammenschluss im mitteldeutschen Raum eben bislang nicht gegeben. Dies ist umso erstaunlicher, als dieser geographische Bereich eine lange und bekannte HNO-ärztliche Tradition aufzuweisen hat.
Herr Prof. Beleites aus Jena hat aus der zur Verfügung stehenden Literatur eine Reihe von historischen Hintergründen dazu zusammengestellt.
Geographisch zählen zu Mitteldeutschland zuerst Thüringen als das „Grüne Herz Deutschlands“ und Hessen mit den angrenzenden Ländern Franken, Südsachsen-Anhalt und Sachsen wie auch Teile Niedersachsens.
Allerdings sind die Grenzen sicher fließend und anlässlich der Gründung der Vereinigung Mitteldeutscher Hals-Nasen-Ohrenärzte ist immer gesagt worden, „wer sich zur Mitte Deutschlands zugehörig fühlt, sollte dazu kommen“.
In diesem Sinne sollte auch die Vergangenheit betrachtet werden:
Bereits Anfang der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts führte der Drang der Otologen zum gegenseitigen Meinungsaustausch zur Bildung kleinerer Vereinigungen. Im Wintersemester 1860/61 fanden sich unter Leitung von Lucae (Berlin), Schwartze (Halle) und Pagenstecher (Wiesbaden) 10 gleichgesinnte Ärzte zur Bildung eines „Ohrenclubs“ zusammen.
1863 wandte sich der Okulist Zander aus Chemnitz an v. Tröltzsch in Würzburg, der sich 1860 für Otologie habilitiert hatte, mit dem Vorschlag, ein Fachjournal für Otologie zu gründen. Herrn v. Tröltzsch war zunächst nicht dafür, wurde aber von Herrn Schwartze, der sich 1863 für die Otologie habilitierte, und auch von Politzer aus Wien dazu überredet, so dass die 3 Otologen (von Tröltzsch, Schwartze, Politzer) 1864 den ersten Band des „Archivs für Ohrenheilkunde“ in Würzburg herausgaben.
Dieser Band beginnt mit einem längeren Artikel von Hermann Schwartze aus Halle zur wissenschaftlichen Entwicklung der Ohrenheilkunde im letzten Dezennium. Im Band 1867 ist ein 10-seitiger, sehr interessanter Nekrolog über Joseph Toynbee (England) abgedruckt. V. Tröltzsch betont darin, dass es Toynbee war, der die Ohrenheilkunde zu einer wirklichen Wissenschaft entwickelt habe. Bereits 1867 riefen dann Gruber (Wien), Weber-Liel (Berlin, später Jena) und Voltolini (Breslau) die Monatsschrift für Ohrenheilkunde ins Leben.
Am 21. September 1868 wurde in Dresden angelegentlich der 42. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte der Otologie eine eigene Sitzung unter Vorsitz Schwartzes (Halle) und des Schriftführers Wendt (Leipzig) gewidmet. Auf Anregung von Lucae erfolgt zu Beginn der Sitzung zunächst eine Diskussion über den Gebrauch der Seebäder bei Ohrenleiden.
Soweit zu den ersten Anfängen.
Bereits am 04.11.1905 wurde dann im mitteldeutschen Raum eine Gesellschaft Sächsisch-Thüringischer Kehlkopf- und Ohrenärzte gegründet, die mindestens bis 1910 regelmäßig tagte. In den Jahren 1927 bis 1938 tagte diese Gesellschaft in Dresden, in Leipzig, in Halle, in Magdeburg und in Jena.
In der Zeit nach dem 2. Weltkrieg fand die erste Oto-rhinologische Tagung der Sowjetischen Besatzungszone am 17. und 18.12.1946 in Berlin unter Leitung von Prof. v. Eicken und Prof. Zange statt.
Am 24.11.1947 schließlich fand eine Vorbesprechung in Weimar statt für den Aufbau einer Medizinisch-Wissenschaftlichen Gesellschaft der HNO-Ärzte Thüringens. Diese Gesellschaft wurde dann am 13.12.1947 offiziell gegründet, Mitbegründer waren die Professoren Zange, Albrecht, Seidel, Fröhlich, Sonnenschein, von Heßberg. Diese Gesellschaft führte am 05. und 06. Juni 1948 die 1. Tagung durch.
Im weitesten Sinne sind dies die Wurzeln der Mitteldeutschen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, die dann 29.11.1952 gegründet wurde anlässlich einer Gemeinschaftstagung in Halle unter Vorsitz von Prof. Eckert-Möbius.
Die 2. Tagung dieser Vereinigung fand am 23./24.10.1953 in Leipzig statt, Vorsitzender war Prof. Tonndorf.
Am 09./10. Oktober 1954 war der Tagungsort Eisenach unter Vorsitz von Prof. Zange aus Jena.
Von 1956 bis 1965 fanden diese Tagungen insgesamt 11 Mal statt, und zwar in Weimar, Halle, Leipzig und Erfurt.
In den Jahren von 1966 bis 1989 schossen sich dann regelmäßig Tagungen der Gesellschaft für Oto-Rhino-Laryngologie und cervico-faciale Chirurgie der DDR sowie auch Tagungen der Thüringer HNO-Gesellschaft an.
Nach der Wiedervereinigung wurde am 22. Juni 1991 die Mitteldeutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde gegründet. Gründungsväter dieser Vereinigung sind der Ärztekammerpräsident Prof. Eggert Beleites aus Jena sowie der damalig niedergelassene Hals-Nasen-Ohrenarzt Prof. Dr. Horst Ganz aus Marburg, die unmittelbar nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten 1990 diese Vereinigungspläne schmiedeten. Auf der Gründungsversammlung am 22.06.1991 wurde dann Prof. Dr. Horst Ganz zum Gründungspräsidenten und Prof. Dr. Michael Schröder aus Kassel zum 1. Schriftführer gewählt. Die ersten Diskussionen fanden in Jena in der Stoystraße 2 statt, der Umsetzungsplan wurde dann tatsächlich im Restaurant des Marburger Schlosses geschmiedet.
Zweck der Gründung dieser Vereinigung war hauptsächlich etwas für die innere Wiedervereinigung Deutschlands zu tun, die Grenzen in den Köpfen sollten überwunden und gleichzeitig die ärztliche Fortbildung gefördert werden. Es sollte die Chance für einen gemeinsamen Neubeginn genutzt werden, wohl wissend, dass in den Regionen des Ostens infolge einer anderen Sozialisation und aufgrund anderer historisch gewachsener Strukturen anders gedacht, empfunden und gelebt wurde als im Westen. Hinzu kam, dass die Hessen bis zu diesem Zeitpunkt nicht in eine regionale HNO-Vereinigung wirklich eingebunden waren, so dass auch für diese Region eine neue Struktur sinnvoll erschien. Von Thüringer Seite aus sollte außerdem die von der Deutschen HNO-Gesellschaft als Konkurrent empfundene und in den alten Grenzen der DDR verhaftete DDR-Gesellschaft nicht weiterhin als Parallelgesellschaft gestützt werden. Hinzu kam, dass die neu gewählten Vertreter der ehemaligen DDR-Gesellschaft, wenn auch in bester Absicht, noch immer Vorstellungen entwickelten, die mit den Strukturen der nunmehr nach der Wiedervereinigung in Gesamtdeutschland geltenden Rechtsgrundlagen des Gesundheitswesens nicht recht vereinbar waren. Diese Gesellschaft wollte z.B. die Facharztausbildung regeln und selber in die Hand nehmen. Die Ausbildung hieß jetzt „Weiterbildung“ und war nicht bei den Fachgesellschaften, sondern bei den Ärztekammern angesiedelt. Der Ärztekammerpräsident aus Thüringen (Prof. Beleites) hatte naturgemäß zu dieser Thematik eine deutlich abweichende Vorstellung und folgerte für sich daraus, dass auch in den Köpfen die alten Grenzen aktiv abgebaut werden müssten. So entstand dann die Idee, eine grenzüberschreitende Vereinigung zu bilden, die, wenn möglich, zu neuen gemeinsam als richtig erkannten Ufern vorstoßen sollte. Ausdrücklich ging es nicht darum, eine Seite der anderen unterzuordnen. Außerdem sollte sich die Vereinigung in keiner Weise gegen jemand speziell richten, schon gar nicht gegen die ostdeutsche Gesellschaft. Überhaupt empfand sie sich auch nicht als Konkurrent. So bestehen die wesentlichen Ziele der Mitteldeutschen Hals-Nasen-Ohrengesellschaft darin, auf regionaler Basis ein Vortragspodium für junge Kollegen zu schaffen, die Fortbildung für alle in der Region zu unterstützen, den Informationsaustausch und das Einander kennenlernen zu fördern und insbesondere auch die praktisch tätigen niedergelassenen Hals-Nasen-Ohrenärzte sehr stark in die Arbeit einzubinden.
Vor der Gründung der Mitteldeutschen Vereinigung dann am 22.06.1991 im Hörsaal der Universitäts-HNO-Klinik in Jena in der Lessingstraße 2 wurden praktisch alle beteiligten Ordinarien der Universitätskliniken einbezogen, im Großen und Ganzen fand sich eine deutliche „Wiedervereinigungseuphorie“, auch wenn einzelne HNO-Ordinarien skeptisch bis sogar ablehnend waren, stimmte doch die Mehrheit dafür.
Mittlerweile blickt die Vereinigung Mitteldeutscher Hals-Nasen-Ohrenärzte auf eine 25-jährige Tagungstradition zurück, die Jahrestagungen waren alle sowohl gut besucht als auch insgesamt von sehr gutem wissenschaftlichen Niveau. In den letzten Jahren wurden Vortrags- und Förder- und regelmäßig auch Posterpreise verliehen. Alle Beteiligten betonen immer wieder, dass der Charakter dieser Tagungen insbesondere dem Ziel, wissenschaftliche Arbeit, klinischen Alltag und den Alltag in der niedergelassenen HNO-Praxis zusammenzuführen und einen regen und produktiven Informationsaustausch zu fördern, sehr gut erfüllt wird.
Vielleicht noch wichtiger ist jedoch, dass der Charakter dieser Tagungen auch wirklich von tiefer persönlicher Freundschaft geprägt wird und hier viele sehr positive Kontakte entstanden sind, so dass wir mit Fug und Recht behaupten können, dass ein Ziel, nämlich die alten Grenzen zu überwinden, hier tatsächlich sehr gut gelebt und erfüllt wurde.
Auch die Vorstandsarbeit hat sich sehr lebendig entwickelt.
Die Präsidentschaft wird jeweils vom stellvertretenden Präsidenten und dem amtierenden Präsidenten gebildet, wobei der stellvertretende Präsident dann immer im Folgejahr zum Präsidenten aufrückt. Die Basis der Vorstandsarbeit wird seit 1998, seit der Tagung in Dresden, von Prof. Gudziol als Kassierer und Prof. Dr. med. Hesse aus Bad Arolsen als Schriftführer geleistet. Hier hat sich in den letzten Jahren ein gutes Team herausgebildet, was für Kontinuität der Arbeit der Vereinigung Mitteldeutscher Hals-Nasen-Ohrenärzte sorgt.
Insgesamt stabilisieren sich die Jahrestagungen auf sehr gutem Niveau mit konstanten Teilnehmerzahlen und – besonders erfreulich – hoher Beteiligung der niedergelassenen HNO-Ärzte. Seit der Jahrestagung 2011 in Gera wurden zudem auch für Praxispersonal Kurse angeboten, die sehr gut angenommen wurden und jetzt in den meisten Tagungen ihren Raum finden. Inzwischen fanden Tagungen in Leipzig, Fulda, Chemnitz und Gießen statt – diese waren jeweils sehr gut besucht und hielten die Tradition einer „familiären“ und zugleich wissenschaftlich interessanten HNO-Tagung aufrecht. Die kommende Jahrestagung wird 2016 unter Leitung von Prof. Plontke in Halle stattfinden, aber auch für das Folgejahr 2017 wurde in zeitlicher Zusammenkunft mit der renommierten Kunstausstellung „Documenta“ mit Kassel unter der Präsidentschaft von Frau Prof. Bockmühl ein attraktiver Tagungsort ausgewählt – wir freuen uns auf die zukünftigen Tagungen, die persönlichen Begegnungen und den wissenschaftlichen Austausch.
Für die Vereinigung Mitteldeutscher HNO-Ärzte
Im Mai 2016
Prof. Dr. med. Gerhard Hesse, Bad Arolsen